- Wieste Cup, 2015 -
Sottrum
14.08. - 16.08.
 

Wnndersames von der Wieste
 
Wo die Wieste einen großen Bogen macht
Im Rahmen der Grand Prix-Serie des Niedersächsischen Schachverbandes fand das vierte von fünf Turnieren statt, und zwar in Sottrum. Dies liegt in der Nähe von Bremen an dem Fluß Wieste, daher der Name des Turniers. Der bisher einzige Grand Prix-Auftritt von Sebastian und mir. Wir spielten dieses fünfrundige Turnier auch auf Grund der günstigen geographischen Lage, da man täglich pendeln konnte. Knapp 50 Spieler gingen an den Start, nach einer Turnierpause war neben Sebastian diesmal auch ich wieder mit dabei. Sebastian war an Platz vier gesetzt und peilte den Turniersieg an. Ich als 19. der Startliste wollte meine DWZ/ELO etwas aufbessern. Tatsächlich gab es am Ende auch dann wirklich Turniersieg bzw. Verbesserung, aber… Doch beginnen wir von vorne.

1. Tag

Bevor es losgeht noch zwei Anmerkungen zum Modus: Bedenkzeitregelung war 40 Züge in 2 Stunden +30 Minuten für den Rest, also kein Inkrement. Und es wurde beschleunigt gelost, also erstes Viertel gegen zweites Viertel etc. Dazu später mehr. Sebastian traf in der Auftaktrunde am Freitag Abend mit Schwarz auf ELO 2026. Weiß rührte munter Beton an (frei nach dem Motto „London gegen alles“) und wollte von Beginn an nichts anderes als Remis. Dennoch erhielt Bast eine positionell gute Stellung wie folgt:

(Anklicken zur Vergrößerung)

Lübeck - Müer
Nach dem 28. Zug von Weiß

Wir sind hier auf dem Höhepunkt des schwarzen Druckspieles. Seine Figuren sind besser postiert. Hier sieht h4 recht stark aus. Später in der Partie konnte der Gegner aber mit der Dame sehr aktiv werden, als Sebastian seine Stellung zu weit bzw. früh öffnete und Bast musste es wieder kneten bis zu der folgenden Stellung:
 

Lübeck - Müer
Nach dem 50. Zug von Schwarz

Wir hielten es für mehr oder weniger leicht gewonnen: Bessere Leichtfigur, besserer König und entfernter Freibauer. Aber es war wohl noch im Ausgleichsbereich. Und der Gegner fand am Ende mit den letzten Minuten auch wirklich das Remis. Sebastian gab noch den Läufer und lief mit dem König auf den Damenflügel, um die Bauern dort zu rasieren, aber es reichte nicht.

Ich selber hatte in dem beschleunigten Schweizer System trotz eines Platzes in der oberen Hälfte gleich mit Enno Eschholz (2194) gegen einen der Topgesetzten zu spielen, zuletzt schlug er mich klar bei der Landesmeisterschaft Anfang des Jahres in Verden. Diesmal stand ich in der Eröffnung mit Schwarz erneut verdächtig, er griff am Königsflügel an. Ich konnte aber ein Gegenspiel im Zentrum in Gang setzen, was mich zumindest in der Partie hielt. Enno opferte dann einen Läufer für zwei Rochadebauern (vielleicht hoffte er auch, noch Material zurückzugewinnen) und es entstand die folgende, komplizierte Stellung:
 

 Eschholz - Modder
Nach dem 22. Zug von Weiß

Weiß hat zwei Bauern mehr, aber es steht eine Gabel auf dem Brett. Der Anziehende hat gerade rochiert und hofft vielleicht, Material zu behalten. Rechnerisch ist die Stellung ok für Schwarz und es gibt mehrere Möglichkeiten. Ich opferte hier die Dame gegen Turm und Läufer mit 22. … dxc3 23. Txd8 cxb2+ 24. Kd2 Txd8+ 25. Ke2 und konnte nach Lf5 nebst Ta-c8 alle Figuren mitspielen lassen. Damit und mit dem aktiven Läuferpaar hatte ich gute Kompensation. Später gelang es mir, mit b5 und Tc4 die Dame auszusperren und entscheidenen Vorteil zu erlangen. Ein perfekter Auftakt!

2. Tag

Sebastian musste gegen 1900 ran in der Morgenrunde am Samstag. Für ihn konnte es nur darum gehen, an diesem 2. Tag zwei Punkte zu holen (am Besten am letzten Tag auch nochmal). Bast erhielt schnell eine Gewinnstellung um den 20. Zug herum, die schwarzen Figuren harmonierten schlecht. Durch eine Taktik hätte Sebastian nun abkürzen können, aber es war noch recht kompliziert und er stand auch nach der von ihm gewählten Fortsetzung unverändert sehr gut. Der Gegner fand noch taktische Tricks in Zeitnot und rettete sich in ein einfaches Turmendspiel mit Minusbauer, welches er aber nicht halten konnte.

Der Nachmittagsgegner hatte 1700 (Ungewöhnlich? Mehr dazu gleich.) und spielte mit Weiß etwas Vereinfachendes, aber Sebastian konnte mit der Eröffnung zufrieden sein, er bekam Vorteil. Er übersah dann aber einen Doppelangriff, wodurch er sich etwas am Königsflügel lockern musste, um die Drohung abzuwehren. In der Folge riss er sich jedoch zusammen und baute den immer noch vorhandenen Vorteil nach einem Qualitätsgewinn weiter aus und brachte die Partie locker nach Hause. 2,5/3, Hausaufgaben gemacht sozusagen.

Nach meinem Auftaktsieg bekam ich in der ersten Partie am Samstag den FIDE-Meister Marc Schuette (2212) zugelost. Meine Vorbereitung kam hier auf das Brett, allerdings hatte ich nur kurz reingeschaut und Marc stand sicherlich befriedigend mit Spiel am Damenflügel und im Zentrum, während ich auf Grund dortigen Raumvorteils am Königsflügel etwas machen musste. Mein Angriff dort kam dann sehr plötzlich (für beide Spieler) und schnell in Gang, und das war in der Zeitnot des Gegners für diesen unangenehm. Marc lehnte in noch ausgeglichener Stellung (laut Computer zumindest, in der Praxis ist dies immer so eine Sache) ein Remis ab, aber in seiner Zeitnot konnte er die entstehenden Probleme am Königsflügel nicht mehr adäquat lösen. Hier nur ein kurzer Eindruck von dieser Partie:
 

Modder - Schuette
Nach dem 22. Zug von Schwarz

Hier war Sf6+ sehr verlockend, ich konnte die Konsequenzen aber nicht gänzlich berechnen und entschied mich für das auch gut aussehende Tg3. Es blieb alles spielbar und wurde nachher wie gesagt durch einen Zeitnotfehler entschieden.

Nachmittagsrunde: 2 aus 2 - und der nächste Gegner hatte 1805 ELO (DWZ 1710). Wie bei Sebastian angedeutet, ist dies eine Folge des Auslosungssystems. Normalerweise hätte man wieder etwas in der Größenordnung 2100 erwartet. Ich selber hätte allerdings bei dem normalen System wahrscheinlich in den ersten drei Runden dieselben Gegner von der Spielstärke her bekommen, nur halt in anderer Reihenfolge (der Auftaktgegner wäre vermutlich sogar noch ein paar hundert Punkte darunter gewesen). Also letztlich kein Unterschied eigentlich.

Der Gegner (natürlich ebenfalls mit 2/2) hatte Weiß und wählte ein ausgleichendes System mit dem vermutlichen Ziel eines Remis. Ich tat mich hier sehr schwer und spielte eine im Grunde zwar lange solide Partie mit meist auch etwas Vorteil, aber machte am Ende zwei schwere taktische Fehler. Der zweite geschah bereits in einer Gewinnstellung:
 

Härig - Modder
Nach dem 36. Zug von Weiß

Ich habe hier bereits Materialvorteil. Es gewann nun vieles. Zum Beispiel einfach Tf8 oder Sf4. Der Gegner hatte noch 5 oder 6 Sekunden für vier Züge auf der Uhr, vielleicht spielte ich deshalb zu nachlässig und leistete mir 36. …. Sc2??. Nunmehr wäre Sxc6 Ausgleich gewesen (es droht die lästige Gabel auf e7) und ich hätte wieder von vorne anfangen dürfen (wenn er die Zeitkontrolle geschafft hätte), aber der Gegner musste a tempo antworten und fand es nicht, kurz darauf fiel das Blättchen (trotz elektronischer Uhr).

Ein erfolgreicher Tag nach Punkten für Sebastian und mich - 4 von 4 möglichen Zählern wurden geholt. Sebastian war mit seinem Spiel in beiden Partien aber nicht zufrieden, da er Probleme hatte, in guten Stellungen die Gegner „abzufinishen“. Das galt für mich in der dritten Partie. Mit den ersten beiden Partien konnte ich auch vom Inhalt zufrieden sein, taktisch war da vielleicht nicht alles immer zu 100% korrekt, aber es waren keine Einsteller dabei, und wichtiger war, ich hatte jeweils in etwa das Wesen der Stellung erfasst. Runde drei jedoch war eine sehr schlechte Partie von mir mit vielen Übersehern.

3. Tag
Runde 4

Sebastian (und überraschenderweise auch ich) waren weiterhin im Rennen um den Turniersieg. Eine ernsthafte Option war dies allerdings in erster Linie für Bast. Unsere Gegner am Sonntag Morgen waren mit David Kardoeus (2174) und Tobias Kügel (2181) zwei junge Talente, beide hatten wir wenigstens die weißen Steine. Na gut, Sebastian war gegen David zumindest von der DWZ her noch klarer Favorit, allerdings hatte der Werderaner ihm vor ein paar Wochen eine Niederlage beigebracht. Bast sann also auf Revanche.

Und er machte sehr viel Druck und stürzte sich unter Bauernopfer auf den Königsflügel des Gegners. Es sah vorteilhaft für ihn aus und David musste viel Bedenkzeit investieren, er lag zwischenzeitlich auf der Uhr eine Stunde zurück. Darum konnte er auch eine Ungenauigkeit von Sebastian nicht ausnutzen. Bast blieb im Vorteil, und in starker Zeitnot verlor sein Gegner eine Figur.
 

Sebastian und rechts David, ein paar Wochen vorher
noch einträchtig nebeneinander beim Quickstep Turnier.

David schaffte die Zeitkontrolle (auch dank einer fairen Geste von Sebastian, der auf eine nicht richtig gedrückte Uhr hinwies), wonach er weiter kämpfte und Bast in Schwierigkeiten brachte, auch auf Grund einer schwachen Grundreihe. Hier hätte sich David einmal in ein Doppelturmendspiel mit nur einem Minusbauern retten können, was wohl auf Remis hinausgelaufen wäre. Nach dieser Schrecksekunde fuhr Bast die Partie dann aber doch nach Hause.

Ich selber brauchte nicht anzutreten, da mein Gegner erst 15 Minuten nach dem Ablauf der Kontumazzeit (halbe Stunde) anwesend war. Der Schiedsrichter hatte da die Partie bereits auf seine eigene Initiative hin für meinen Gegner genullt. Ein kampfloser Punkt also für mich. Ich sah es eher mit Bedauern als mit Freude, ich hatte ein bisschen was vorbereitet und hätte gerne gegen einen Gegner dieser Stärke gespielt, um etwas Schachliches mitzunehmen, der Turniersieg stand nicht auf meiner Agenda. Klar hätte ich es versucht, und klar auch wäre Tobias deutlicher Favorit gewesen.

Runde 5

Letzte Runde! Und plötzlich „drohte“ ernsthaft der Turniersieg für mich. Ich war letzter verbliebener Spieler mit 4 Punkten, dahinter lag Sebastian mit 3,5 Punkten zusammen mit Dennis Webner (2078) vom TuS Varrel und dem jungen Talent Hannes Ewert (2006) vom SV Hellern. Diese beiden hatten sich nach drei Siegen in der 4. Runde voneinander Remis getrennt. Sebastian hatte Schwarz gegen Hannes und ich sollte mit Weiß gegen Dennis antreten.

Für die Eröffnung konnte ich etwas vorbereiten, mit dem der Gegner auch nicht so gut zurecht kam. Ich ließ dann aber eine bessere Möglichkeit aus, bevor Dennis in kritischer Lage zum Opfer der Dame gegen Turm und Läufer griff. Notgedrungen zwar, aber auch gut spielbar. Nach Umstellung der Züge hätte er sogar ungefähren Ausgleich bekommen können. Hier diese kritische Phase, welche sich bereits in der Eröffnung abspielte:
 

Modder - Webner
Nach dem 14. Zug von Schwarz

Hier war Lb5+ einfach zu verlockend für mich, darum prüfte ich das Damenopfer nicht richtig. Le4 ist wohl objektiv besser, aber ich dachte, Schwarz wäre bereits geplatzt. Es folgte: 15. Lb5+ Ld7 (sonst ist die Dame wirklich weg) 16. Td1 Lxb5 (besser war erst Dxd1 mit ungefährem Ausgleich wie gesagt) 17. Txd5 exd5 18. e6. Letzteres wäre nach erst Dxd1 nämlich nicht in der Stellung gewesen. Mein Gegner rochierte nun kurz und bot Remis an. Das war sicherlich ein guter Zeitpunkt dazu. Er stand schlechter, wahrscheinlich auf Verlust, aber er hatte anscheinend noch ein gutes Zentrum und ich konnte nicht rochieren, außerdem war ein Remis fast gleichbedeutend für mich mit dem Turniersieg.

Sebastian spielte mit Schwarz etwas für ihn Ungewöhnliches gegen Hannes, verwechselte aber leider etwas die Pläne. Nicht, dass sein Plan objektiv gesehen schlechter war, aber er ermöglichte seinem Gegner das Anstreben einer wahrscheinlichen Remisstellung, ein Weg, den dieser auch ging. Es wurde zuviel abgetauscht. Bei einem Remis der beiden würde mir ein solches in meiner Partie definitiv auch reichen.

Mir war das aber zu unsicher, Sebastian würde sicherlich nochmal alles versuchen, und wenn einer von beiden gewänne, könnte er mich zumindest noch theoretisch von der Spitze verdrängen, auch wenn das in den meisten Fällen wohl nicht passieren würde. Ich spielte weiter und erreichte zwar recht schnell deutlicheren Vorteil, aber die nervliche Anspannung wuchs natürlich ebenso. Es passierte zum Glück nichts Gravierendes mehr und ich konnte den Punkt nach weiterem Materialgewinn einfahren. 5 aus 5. Etwas schade natürlich für Dennis, der bis Dato wohl auch das „Turnier seines Lebens“ gespielt hatte.

Während ich mir ein erstes (und fast auch schon letztes) Bierchäään an der Bar reinschwenkte, lehnte Sebastian zweimal Remis ab und verlor im einfachen Turmendspiel einen Bauern. Das war immer noch Remis, doch frustriert stellte Bast noch einen weiteren ein und die Stellung war nicht zu halten. Am Ende gab es eine dramatische Blitzphase und Weiß setzte schließlich mit unter 10 Sekunden auf der Uhr nach über 70 Zügen Matt (Sebastian hatte noch ein paar Minuten).

Aber hier haben wir eine Kuriosität: Beide Spieler hatten nicht gemerkt, dass sie sich noch in der ersten Zeitkontrolle befanden. Es hätte also nochmal jeweils 30 Minuten Aufschlag gegeben… Vielleicht trug dazu auch bei, dass dies die bereits noch letzte laufende Partie im Turniersaal war (ich hätte ebenfalls schwören können, es wären die letzten Sekunden, kann aber natürlich auch am Bierchäään gelegen haben). Bitteres Ende für Sebastian, den ein Remis auf Platz zwei oder drei gebracht hätte, da müsste man nochmal rechnen.

Fazit

Was soll man sagen? Für mich ein riesiger Erfolg. Ein Turnier dieser Größenordnung habe ich noch nie gewinnen können. Es musste dazu natürlich auch einiges zusammen kommen. Der kampflose Punkt in Runde 4 war ein gewichtiger Faktor. Andererseits hatte ich auch gute Gegner und kann mit dem schachlichen Gehalt in drei der vier Partien sehr zufrieden sein - für meine Verhältnisse. Es gab sicherlich in allen Partien auch kritische Momente, die Eröffnungswahl gegen Enno z.B. kann man schwerlich als glücklich bezeichnen. Aber das gehört wohl dazu.

Für Sebastian war es bitter. Zumindest ein Remis in der letzten Runde hätte es eigentlich sein müssen, um auf das Treppchen zu kommen. Und der halbe Punkt wäre allemal verdient gewesen. Bast ist ein kompromissloser Fighter, und manchmal entsteht eben das, was Tarrasch „das Spielen auf Verlust“ nennt, wenn man nämlich alle Remisvarianten vermeidet. So gibt es halt unterschiedliche Spielertypen, man vergleiche mit seiner ersten Partie, aber letztlich ist sein Weg der Einzige, der zum Erfolg führen kann, den Sebastian bald hoffentlich wieder haben wird.

Hier noch der Link zur Turnierseite:

Wieste Cup

- frank modder, 18.08.2015
 

Siegerehrung (v.l.): Niedersachsenpräsident Michael S. Langer, Hannes Ewert, Marc Schuette, Tobias Vöge, Daniel Margraf, Frank Modder, Turnierveranstalter Reinhard Piehl.